Eigentlich wissen es ja fast alle, was Gunter Dueck in seinem Blog omnisophie beschreibt.
Wir als Beratung für Human Resource Management in der Wissensarbeit jedenfalls beobachten seit langem, wie Unternehmen Potentiale bei der Suche nach hochqualifizierten Mitarbeitern verschenken. Die Möglichkeiten der Digitalisierung sind daran nicht ganz unbeteiligt – aber natürlich treffen Menschen die Entscheidung, sie so oder so zu nutzen.
Big Data, CV-Parsing, One-Click-Bewerbungen…Die Bandbreite technischer Möglichkeiten bei der Personalgewinnung ist riesig und erfreut sich gerade in großen Unternehmen immer größer werdender Beliebtheit.
Lebensläufe werden häufig nicht mehr einzeln von Personalern geprüft, sondern von einer Software ausgelesen und nach feststehenden Parametern vorsortiert. Ein Senior Java Entwickler ohne Studienabschluss? Wird sofort aussortiert! Ein IT-Systemingenieur mit einer Lücke im Lebenslauf? Auch der kommt gleich zu den Absagen…
Ecken und Kanten in Qualifikation oder Lebenslauf kommen nicht durch den Filter. Ob die „Lücke im Lebenslauf“ einer sozialen Aktivität gedient hat oder einfach nur Zeit war, in der die Persönlichkeit reifen konnte und ob der Bewerber vielleicht nicht doch ganz interessant wäre, kann der Algorithmus nicht bewerten.
In der IT häufig anzutreffende Autodidakten, Querdenker oder auch Menschen ohne stringenten Lebenslauf haben in dieser neuen Bewerbungswelt wenige bis keine Chancen. Nicht nur für die Bewerber, auch für die Unternehmen ist es ein Verlust: Gerade abseits der normierten Wege liegen oft verborgene Schätze, die durch das Raster fallen. Wird nicht immer wieder nach Querdenkern, innovativen und eigensinnigen Persönlichkeiten, nach Entwicklung jenseits der Standards gerufen? Und nichts gegen junge Praktikanten und Absolventen, die häufig in der Vorauswahl eingesetzt werden… Aber haben sie schon die Erfahrung, Lebensläufe einzuschätzen, die evtl. doppelt so lang sind wie der eigene Lebensweg?
Ab und zu wundern wir uns, wenn Unternehmen Umsatzeinbuße aufgrund fehlender Bewerber beklagen und gleichzeitig Stellen lange unbesetzt lassen. Häufig erleben wir, dass es Absolventen oder auch gut qualifizierten Quereinsteigern schwer gemacht wird, den Einstieg zu finden – aufgrund mangelnder Erfahrung. Wie hoch sind die Kosten für eine gute Einarbeitung, für vielleicht den einen oder anderen Zusatzkurs als Anpassungsqualifizierung? Nicht gerechnet die Möglichkeit, dass ein neuer und gut ausgewählter Mitarbeiter auch schon während der Einarbeitung zum Unternehmenserfolg beiträgt und bei gutem on boarding sicher nicht gleich wieder davon läuft.
Es ist wohl an der Zeit, dass die HR-Abteilung und ihre Auftraggeber im Unternehmen umdenken. Wir – die Unternehmen – befinden uns in werbender Position. Wir müssen suchen, Wege ebnen und Ideen entwickeln, um qualifizierte Bewerber auf uns aufmerksam zu machen und sie zu gewinnen. Standardverfahren helfen da eher weniger.